Familienleben zwischen Kindern, Krisen und Kaffeepausen

Das Wohlbefinden der Familien in Deutschland leidet – das ergab die Familienstudie der AOK im Jahr 2022. In allen relevanten Bereichen sind die Zahlen gestiegen: finanzielle Belastung, psychische und körperliche Gesundheit, allgemeine Belastungsgefühle. Wir haben mit Heike Freudenmann, Kursleiterin bei der Familienbildungsstätte Filderstadt e.V., gesprochen und gemeinsam nach Wegen für mehr Leichtigkeit im Familienalltag gesucht.

Text: Ann-Katrin Neundorf, FBS Filderstadt

Lachende und glückliche Familien findet man in den sozialen Medien überall. Aber wie können reale Familien ein wenig Leichtigkeit gewinnen?

Heike Freudenmann, Kursleiterin der FBS für Eltern-Kind-Kurse, erlebt es bei ihren Kursteilnehmerinnen, dass das Leben als Mutter zur Belastung werden kann: „Gerade wir Frauen stecken in den ersten Jahren mit den Kindern viel zurück. In den ersten Monaten mit dem Baby verliert man seine alte Struktur, denn plötzlich stehen die Bedürfnisse des Säuglings rund um die Uhr im Mittelpunkt und das Schlafdefizit ist groß.“ Trotz vieler schöner Momente mit Kindern erlebe man auch Situationen, in denen die Eltern an ihre Grenzen kommen. Wenn Mütter dann früh und mit vielen Arbeitsstunden in den Beruf zurückgehen, gleichzeitig versuchen, allen Bedürfnissen in der Familie gerecht zu werden und den Überblick über alles zu behalten, könne das schnell zu einer Belastung werden.


Freudenmann, die gelernte Erzieherin ist, kennt diese Belastung auch aus eigener Erfahrung: „Wenn ein Elternteil überwiegend für die Kinder und den Haushalt zuständig ist, dann hat man so viele Aufgaben zu managen, dass es sehr schwer ist, auch noch an die Zeit für sich selbst zu denken.“


Mental load – ein Stichwort, das seit einigen Jahren durch die sozialen Medien geistert. Es bezeichnet die unsichtbare Belastung, die das Organisieren und Planen eines reibungslosen Familienlebens in Anspruch nimmt: Arztbesuche und Playdates vereinbaren, jahreszeitlich passende Kleidung besorgen, Geburtstagslisten verwalten und Geschenke kaufen, … Kleine Bausteine für den Familienalltag, die aber eine Menge Denkleistung einnehmen. Auch heute, im Jahr 2023, fällt diese Aufgabe meist den Müttern zu. Doch wie kann man diesen mentalen Balast abspecken?


„Ich denke, ein erster Schritt ist, zu akzeptieren, dass die Umstände aktuell so sind“, sagt Freudenmann und ergänzt: „Hilfreich ist es außerdem, Aufgaben mit dem Partner abzusprechen und abzugeben. Wir sprechen oft die To Do’s der nächsten Tage durch und schauen, wer für welche Themen zuständig ist.“ So sei es eine große Unterstützung, morgens nicht alleine für die Morgenroutine zuständig zu sein. Gerade dann, wenn beide Elternteile arbeiten gehen.

Freudenmanns Kinder sind dem anstrengenden Babyalter zwar längst entwachsen, doch ihre Mutter erinnert sich noch gut daran, wie es damals war. Gerade das erste Jahr mit Baby sei sehr schwer, da man ständig verfügbar sein müsse und unter Schlafmangel leide: „Um auch in stressigen Zeiten wohlwollend und entspannt mit den Kindern umzugehen, haben mir kurze Erholungsphasen oft geholfen.“

FBS-Kursleiterin Heike Freudenmann mit ihrer Familie

Beispielsweise wenn ihr Mann alleine mit den Kindern auf den Spielplatz gegangen sei. „So konnte ich für kurze Zeit nur Heike mit meinen eigenen Bedürfnissen sein.“ Auf die eigenen Kraftquellen zu achten und diese nicht in ein Defizit zu fahren, sei enorm wichtig, um mit Gelassenheit und Ruhe für das eigene Kind da zu sein. Die gute Nachricht lautet: Je größer die Kinder werden, umso größer sind auch die Freiheiten, die beide Elternteile zurückgewinnen: abends mit Freunden ausgehen, Yoga machen, auf ein Konzert gehen. Stück für Stück gewinnen Eltern auch alte Hobbys wieder zurück. Familienleben ist immer im Fluss. Kinder werden größer und können Aufgaben selbst übernehmen, neue Aufgaben für die Eltern kommen hinzu. Daher ist die Kommunikation unter den Erwachsenen so wichtig. Freudenmann rät, mit dem Partner im Gespräch zu bleiben, die Aufgabenteilung immer wieder zu reflektieren und bei Bedarf neu zu verteilen – damit kein Elternteil auf der Strecke bleibt.

Dass Eltern ihre eigenen Bedürfnisse oft unterdrücken, weiß auch Familienberaterin Sandra Knauber (zu ihrem Interview geht’s hier). Es sei daher der erste Schritt, dass Eltern wieder mehr nach sich selbst schauen. Doch wie kann das konkret aussehen?

Heike Freudenmann hat für sich verschiedene Wege gefunden: „Ich versuche, mir auch die Zeit mit meinen Kindern schön zu gestalten, so dass wir alle etwas davon haben. Wir gehen zum Beispiel oft in die Natur, dass entspannt uns alle. Während eines schönen Ausflugs in ein Restaurant einzukehren, entlastet die tägliche Kochroutine.“ Ob es nun der Spaziergang im Wald, das gemeinsame Kochen, Backen oder Basteln ist, Kinder lassen sich leicht für die Dinge begeistern, die ihren Eltern Spaß machen. So kommen alle auf ihre Kosten.

Heike Freudenmann ist gerne draußen.


Doch selbst dann, wenn die Akkus geladen sind und ein schöner Tag zu Ende geht, kann es trotzdem zu stressigen Momenten kommen. Dann gibt es abends beim Zähneputzen oder Haarebürsten das große Gebrüll. Welcher Elternteil kennt das nicht? „Solche Situationen versuche ich schon im Vorfeld zu entschärfen, indem wir den Kindern Quality Time schenken, bei der sie für 15-30 Minuten die ganze Aufmerksamkeit erhalten. So können die Kinder noch einmal emotional auftanken und die Abendroutine klappt danach ohne Stress“, erklärt Freudenmann. Als ihre Kinder noch klein waren, habe sie gerne Fangen, Verstecken oder Pantomime mit ihnen gespielt oder ein Wimmelbuch angeschaut. Bei älteren Kindern könnten es Gesellschaftsspiele wie Uno oder Mensch ärgere dich nicht sein. 


Nach dem Abendessen nochmal das Spielen anfangen? Wird es dann nicht viel zu spät, bis die Kinder endlich im Bett sind? Freudenmann schüttelt den Kopf: „Diese Bedenken höre ich öfter von den Eltern in meinen Kursen. Kinder müssen über den Lauf des Tages viel kooperieren und diese Fähigkeit ist gegen Abend erschöpft. Deshalb empfehle ich, die fünfzehn Minuten in ein gemeinsames Spiel zu investieren, dann gelingen die Aufgaben danach meist schneller und reibungsloser und am Ende sind die Kinder genauso früh im Bett.“ Denn Humor und Lachen bauen Stress ab und entspannen – nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern.


Auch den Elternteilen, die erst spät nach Hause kommen, empfiehlt die ausgebildete Erzieherin, solche gemeinsamen Beziehungsmomente zu schaffen: „Wenn der Vater am Abend erwartet, dass das Tischabdecken klappt, obwohl er den ganzen Tag keinen schönen Moment mit den Kindern hatte, dann geht das oft schief.“ Fußball, Tippkick oder ein spontaner Abendspaziergang mit Taschenlampe um den Häuserblock seien die bevorzugten Beziehungsmomente ihres eigenen Mannes. Denn auch beim Spielen mit den Kindern können Eltern ihre eigenen Vorlieben berücksichtigen.

Wenn man das so hört, klingt eigentlich alles ganz einfach. Gibt es also nie Stress im Hause Freudenmann? Unsere Kursleiterin lacht: „Natürlich! Ich finde es mittags besonders anstrengend, wenn ich von der Arbeit und die Kinder von der Schule kommen und ich mein Mittagstief habe. Daheim entladen Kinder erstmal alles was sie erlebt und belastet hat. Das kann auch mal mit viel Emotionen verbunden sein.“ Früher habe sie nach dem Mittagessen sofort die Küche aufgeräumt, doch dann habe es bei den Kindern oft geknallt.

Ganz präsent sein und gemeinsam mit den Kindern auftanken.


Deshalb habe inzwischen eine gemeinsame Kuschelzeit am Mittag an vielen Tagen oberste Priorität: „Kuscheln, lesen ganz präsent zuhören – dann finden die Kinder danach ohne Streit ins Spiel oder in die Hausaufgaben.“ Auf diese Weise haben Kinder die Möglichkeit, nach einem anstrengenden Vormittag in der Kita oder Schule in ihrem sicheren Hafen anzukommen und emotional aufzutanken. Danach wartet die Küche allerdings immer noch – Doch eines hat Freudenmann in elf Jahren Mutterschaft gelernt: „Inzwischen stehe ich dazu: Bei uns ist es nicht immer tip top aufgeräumt, weil es in bestimmten Situationen klüger ist, sich erst um die Bedürfnisse der Kinder zu kümmern.“ Wenn die Kinder ins Spiel gefunden haben, gönnt sich ihre Mutter erst einmal ihre wohlverdiente Kaffeepause. Die Küche kann warten.


Was können die Eltern-Kind-Kurse der FBS, die Freudenmann leitet, für mehr Leichtigkeit im Familienalltag beitragen? „Wenn Kinder auf die Welt kommen, verändert sich das ganze Leben. Der Austausch in der Gruppe ist dann total hilfreich“, erklärt unsere Dozentin, die bei der FBS die BiB-Kurse (Babys in Bewegung) leitet. Hier können Eltern über Themen sprechen, die sie belasten. Es gehe dabei nicht um den Vergleich, sondern darum, entlastet zu werden, da es anderen genauso gehe und andere Eltern oft die besten Tipps und Ideen hätten. Vernetzung, Gleichgesinnte finden, das sei in unserer Gesellschaft aus Kleinfamilien wichtig.


Wenn sie einen Wunsch frei hätte, damit Familien heutzutage wieder mehr Leichtigkeit finden, was wäre das? Freudenmann denkt nach und sagt dann: „Familien sind heute oft kleine Einzelkämpfer, vor allem dann, wenn keine Großeltern vor Ort sind. Ich wünsche mir ein größeres Netzwerk, mehr Unterstützung, weniger Druck und mehr naturnahen Raum für Kinder, in dem sie sich erleben und entfalten können.“ Bis es soweit ist, müssen Eltern die Nischen finden, in denen das bereits möglich ist, aber auch am Ende des Tages wohlwollend auf die eigene Leistung blicken: „Ich empfehle, auf die gut gelungenen Dinge zu schauen und diese zu wertschätzen. Kinder brauchen keine perfekten Eltern sondern authentische.“

Kurs-Highlights für etwas Leichtigkeit im Familienalltag

Kurse für die Allerkleinsten

Bei der Babymassage können die Kleinen so richtig entspannen! Sie erlernen Massagegriffe, die bei Blähungen, Bauchschmerzen oder Koliken zu Linderung führen können. Eine echte Wohltat für Eltern und Kind!

Kurse für Eltern und Kinder

In unseren Eltern-Kind-Gruppen gehen die Kinder auf Erkundungstour, während die Mamas und Papas Zeit zum Beobachten haben: Egal, ob bei BiB, PEKiP, Kis-EL, oder LEFino – Spiel, Spaß und Entspannung sind hier garantiert!

Musik-Kurse

In unseren Musikkursen singen, tanzen und musizieren Sie mit Ihrem Kind. Das macht nicht nur Spaß, sondern fördert auch die musikalische und sprachliche Entwicklung der Kinder.

Natur-, Lern- und Bastelkurse

Ob im „Oma-Opa-Enkelkind-Basteln“, in den Englischen Spielgruppen oder im Vätertreff „Feuer und Flamme“ – hier gibt es Zeit für gemeinsame Erlebnisse.

Kurse für größere Kinder

Für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter bieten wir verschiedene Kurse ohne Eltern an. Ob beim Musizieren, Kochen, Forschen oder Schwimmen – hier werden Kinder bestimmt fündig und Sie bekommen eine kleine Auszeit.

Vorträge zu Elternfragen

Alle Eltern stoßen immer wieder auf Situationen, in denen sie nicht weiter wissen. Egal, ob es um Themen wie Beikost, Schlaf, Geschwisterbeziehung oder allgemeine Erziehungsfragen geht, bei uns finden Sie ein breites Angebot an Vorträgen.

Fotos: Unsplash: Jessica Rockowitz, Khoa Pham, Colin Maynard, Jelleke Vanooteg, Sigmund Tjxot, Towfiqu Barbhuiy, Heike Freudenmann

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Hier gibt’s Neuigkeiten und Rückblicke aus der FBS

Familienleben light – geht das überhaupt?

Wenn Eltern das Gefühl haben, es geht nicht mehr, dann kommt Sandra Knauber ins Spiel. Die Systemische Familien-, Einzel- und Paartherapeutin berät Familien, wenn es Schwierigkeiten gibt und zeigt Lösungen und Handlungsoptionen auf, damit das Familienklima wieder stimmt. In der Familienbildungsstätte Filderstadt e.V. hält sie spannende Vorträge zu Familienthemen. Im Interview verrät sie uns, wie wir als Eltern wieder mehr Leichtigkeit gewinnen können.

Mit mehr Leichtigkeit durch den Familienalltag gehen – das wünschen sich viele Eltern heutzutage.

Familienbildungsstätte (FBS): Liebe Frau Knauber, Sie arbeiten seit 15 Jahren in eigener Praxis und haben bereits viele Familien begleitet. Welche Herausforderungen beobachten Sie bei der aktuellen Elterngeneration?

Sandra Knauber (SK): Es ist, glaube ich, eine der ganz, ganz großen Herausforderungen, dass Eltern heutzutage in einem sehr hohen Maß arbeiten, die Kinderbetreuung oft nicht funktionell ist und sie zusätzlich noch sehr hohe eigene Erwartungen haben, alles auf einem guten Level unter einen Hut zu bringen. Oft kommt als Thema hinzu, dass derjenige, der betreut – meist immer noch die Mutter – mit der Geburt des Kindes anfängt, eigene Bedürfnisse hintenanzustellen. Sie fängt an, die Bedürfnisse von allen in der Familie zu versorgen. Ihre eigenen Bedürfnisse liegen dann irgendwann sehr brach. Aber wer keine gut gefüllten eigenen Bedürfnisse hat, der kann nicht mit Ruhe, Liebe und Geduld erziehen.

FBS: Wie genau wirkt sich das im Familienleben aus?

SK: Stellen Sie sich vor, Sie hatten einen anstrengenden Tag auf der Arbeit, kommen dann gestresst nach Hause und Ihr Kind wirft aus Versehen ein Glas Milch um. Wenn Ihre eigenen Bedürfnisse gut gestillt sind, können Sie es vielleicht mit Humor nehmen und die Situation entspannen. Aber wenn Sie sich innerlich ausgelaugt fühlen, werden sie viel gestresster und gereizter reagieren bei einer Situation, die gut ausgeruht keine große Sache wäre.

FBS: Woran liegt es, dass Eltern ihre eigenen Bedürfnisse so sehr vernachlässigen?

SK: Im Attachment Parenting, der bindungsorientierten Elternschaft, die ich sehr begrüße, werden die Bedürfnisse der Kinder sehr ernst genommen. Im ersten Lebensjahr ist es super, wenn ein schreiender Säugling möglichst schnell versorgt wird. Aber ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr können Kinder auch lernen, dass sie mal kurz warten müssen oder dass es jetzt gerade kein Eis gibt. Eltern müssen dann sich selbst und ihrem Kind zutrauen, den kindlichen Unmut auszuhalten. Dadurch entwickeln Kinder Frustrationstoleranz, die auch später in der Schule und in der Arbeitswelt wichtig wird. Denn wir können unseren Kindern nicht immer alle Hürden aus dem Weg räumen.

Sandra Knauber ist Familientherapeutin

FBS: Wird es in der heutigen Erziehung vernachlässigt, Kindern etwas zuzutrauen?

SK: Manche Eltern denken, sie müssen alles für das Kind tun, damit es zufrieden ist. Sie müssen ihm alle Wünsche erfüllen. Das ist jedoch keine bedürfnisorientierte Erziehung, sondern eine Wunscherfüllung. Denn sie vernachlässigt das Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit und Struktur. Es gehört zu unseren Aufgaben, dem Kind Grenzen aufzuzeigen und Strukturen zu schaffen. Das gibt ihm Sicherheit und Halt.

Der erste Schritt ist, dass Eltern nach ihren eigenen Bedürfnissen schauen.

FBS: Halten wir fest, Kinder brauchen nicht nur eine Befriedigung ihrer positiven Bedürfnisse, sondern auch Grenzen und Struktur. Sie müssen lernen, auch mal zu warten und dass nicht immer alles möglich ist. Wie hilft uns dieses Wissen für mehr Leichtigkeit im Familienalltag?

SK: Wenn Familien in Schwierigkeiten zu mir kommen, ist oft der erste Schritt, damit sie überhaupt wieder zu Kräften kommen, zu schauen, dass es auch den Eltern gut gehen darf. Es ist wichtig, dass Eltern nach ihren eigenen Bedürfnissen schauen. Dazu gehört beispielsweise, nach dem Heimkommen eine Pause für alle einzuplanen. Das kann man den Kindern nicht nur zumuten, sondern es tut allen in der Familie gut.

FBS: Welche Möglichkeiten gibt es, eine gemeinsame Pause zu etablieren?

SK: Wenn das Kind keinen Mittagschlaf mehr macht, kann man es direkt als Ritual einführen. Das kann anfangs noch in der Nähe der Mutter sein, später dann im Kinderzimmer. Eine Sanduhr ist dabei sehr hilfreich. Kinder lieben Sanduhren. Dann kann die Abmachung lauten: Bis zum Ende der Mittagspause darf sich jeder leise beschäftigen. Das können bei kleinen Kindern fünf Minuten sein, später fünfzehn Minuten oder, wenn das Kind ins Spiel vertieft ist, sogar dreißig.

Eine wohlverdiente Kaffeepause

FBS: Reichen fünf Minuten Pause, um sich zu erholen?

SK: Manchmal sagen meine Klienten: Wenn sie jetzt eine Pause machen, kommen sie hinterher nicht mehr hoch. Aber das liegt dann daran, dass sie zu lange in Anspannung waren. Dann wäre es gut, zu schauen, ob man die Pause früher am Tag braucht. Manchmal reicht es dazu aus, dass man eine Kleinigkeit im Alltag umstrukturiert.

FBS: Wie könnte das aussehen?

SK: Wenn ich nach dem Essen eine Pause einführe, aber erst noch die Küche aufräume, geht das von meiner Pausenzeit weg. Besser wäre es daher, zuerst Pause zu machen und danach solche Aufgaben zu erledigen.

FBS: Wie kann man es überhaupt schaffen, wieder nach den eigenen Bedürfnissen zu schauen, wenn man es als Mutter oder Vater verlernt hat?

SK: Wichtig ist, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Dazu zählt, gut in Kommunikation und Interaktion mit dem Partner und dem sozialen Umfeld zu sein. Das können Großeltern und Freunde sein, aber auch offizielle Stellen wie Leihomas, Tagespflegeeltern oder das Wellcome-Programm. Es ist einen Versuch wert, Care-Arbeit partnerschaftlich zu verteilen, sodass beide Elternteile auch Freiräume für sich haben.

FBS: Wenn es trotz Pause, trotz Erholungszeit doch mal laut wird, das Kind schreit und tobt und ich bin als Mutter oder Vater wirklich bemüht, den kindlichen Unmut auszuhalten, aber es fällt mir so schwer – was kann ich tun?

SK: Zunächst einmal kann das Schreien des Kindes dazu dienen, sich den Stress von der Seele zu schreien. Wenn man sich das bewusst macht, kann man es vielleicht etwas leichter ertragen. Wenn es mir als Elternteil trotzdem zu viel wird, kommt es darauf an, wo ich bin. Wenn möglich, kann ich das Kind kurz an den Partner, die Oma, eine Freundin abgeben und mir eine kleine Auszeit nehmen. Geht das nicht, gibt es verschiedene Mentalisierungsübungen.

Mentalisierungsübungen können helfen, wenn der Stress zu groß wird.

FBS: Haben Sie ein Beispiel?

SK: Sie könnten sich vorstellen, sie wären in einer riesengroßen Seifenblase und nichts kommt an sie heran. Sie sind geschützt und das Geschrei perlt von ihnen ab. Das sollte man aber zuvor in einem ruhigen Moment üben.

FBS: Heißt das, es ist immer in Ordnung, wenn Kinder schreien und wir müssen das einfach aushalten?

SK: Da muss man ein wenig aufpassen und genau darauf achten, was die Gründe dafür sind. Muss das Kind Stress abbauen oder bin ich gerade im Supermarkt und es instrumentalisiert – ohne bösen Hintergedanken – das Gebrüll, um etwas Bestimmtes zu bekommen? Ab einem gewissen Alter, je nach Entwicklung des Kindes im Laufe des Kindergartenalters, kann ich es auch dafür sensibilisieren, dass da andere Menschen sind z.B. Nachbarn, die das Geschrei stört. Oder dass es nicht möglich ist, im Restaurant rumzurennen, da das die anderen Gäste stört, die in Ruhe essen möchten.

FBS: Was raten Sie Eltern, die all diese Tipps bereits beherzigen, aber trotzdem das Gefühl haben, ihre Akkus sind komplett leer.

SK: Dann würde ich fragen: Was erwarten Sie? Wie hoch muss der Standard Zuhause sein? Wie viele Vereinsaktivitäten braucht Ihr Kind wirklich? Auch in Fragen der Freizeitgestaltung können Eltern Grenzen aufzeigen. Es ist eben nicht immer alles möglich. Eine weitere Frage ist: Wo können wir Freiräume schaffen? Wo können wir Aufgaben abgeben, beispielsweise im Haushalt? Auch Haushaltsaufgaben können ritualisiert im Alltag eingebettet werden, dann fällt es auch den Kindern leichter, weil sie vorhersehbar sind.

Hilfe holen – Adressen im Raum Filderstadt finden Sie unten

FBS: Und wenn das immer noch nicht hilft?

SK: Ich empfehle, sich lieber früher als später Hilfe zu holen, damit sich die Situation nicht verschlimmert. Im Landkreis Esslingen gibt es ein gutes Netz an Psychologischen Beratungsstellen, wo es kostenlose Beratung für Eltern gibt.

FBS: Jetzt in der kalten Jahreszeit verlagert sich das Familienleben wieder mehr nach drinnen und das führt oft auch zu größeren Konflikten. Woran liegt das und wie kann man hier entgegenwirken?

SK: Das liegt an der fehlenden Bewegung. Ich rate auf jeden Fall dazu, jeden Tag rauszugehen. Wenn das ritualisiert geschieht und zum Alltag gehört, machen es die Kinder gerne, egal bei welchem Wetter. Man kann auch raus, um in Pfützen zu patschen oder Stöckchen zu sammeln. Oder man macht einen langsamen Spaziergang zum Supermarkt und schaut sich alles, was man findet, ganz genau an. Die Kinder bekommen dadurch genug Bewegung und das nimmt Stress. Außerdem stabilisiert die frische und kalte Luft das Immunsystem.

FBS: Liebe Frau Knauber, Sie haben uns schon eine ganze Menge erzählt. Was sind Ihre wichtigsten Tipps für mehr Leichtigkeit im Familienalltag?

SK: Auf die eigenen Bedürfnisse achten und den Alltag entschleunigen. Außerdem manche Sachen einfach mit Humor nehmen.

FBS: Vielen Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führte Ann-Katrin Neundorf, Öffentlichkeitsarbeit FBS Filderstadt

Adressen, Kurse und Vorträge für Eltern:

Fotos: Sandra Knauber, Unsplash Jessica Rockowitz, Frank Leuderalber, Austin Kehmeier, Jan Kahanek

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