Familienleben light – geht das überhaupt?

Wenn Eltern das Gefühl haben, es geht nicht mehr, dann kommt Sandra Knauber ins Spiel. Die Systemische Familien-, Einzel- und Paartherapeutin berät Familien, wenn es Schwierigkeiten gibt und zeigt Lösungen und Handlungsoptionen auf, damit das Familienklima wieder stimmt. In der Familienbildungsstätte Filderstadt e.V. hält sie spannende Vorträge zu Familienthemen. Im Interview verrät sie uns, wie wir als Eltern wieder mehr Leichtigkeit gewinnen können.

Mit mehr Leichtigkeit durch den Familienalltag gehen – das wünschen sich viele Eltern heutzutage.

Familienbildungsstätte (FBS): Liebe Frau Knauber, Sie arbeiten seit 15 Jahren in eigener Praxis und haben bereits viele Familien begleitet. Welche Herausforderungen beobachten Sie bei der aktuellen Elterngeneration?

Sandra Knauber (SK): Es ist, glaube ich, eine der ganz, ganz großen Herausforderungen, dass Eltern heutzutage in einem sehr hohen Maß arbeiten, die Kinderbetreuung oft nicht funktionell ist und sie zusätzlich noch sehr hohe eigene Erwartungen haben, alles auf einem guten Level unter einen Hut zu bringen. Oft kommt als Thema hinzu, dass derjenige, der betreut – meist immer noch die Mutter – mit der Geburt des Kindes anfängt, eigene Bedürfnisse hintenanzustellen. Sie fängt an, die Bedürfnisse von allen in der Familie zu versorgen. Ihre eigenen Bedürfnisse liegen dann irgendwann sehr brach. Aber wer keine gut gefüllten eigenen Bedürfnisse hat, der kann nicht mit Ruhe, Liebe und Geduld erziehen.

FBS: Wie genau wirkt sich das im Familienleben aus?

SK: Stellen Sie sich vor, Sie hatten einen anstrengenden Tag auf der Arbeit, kommen dann gestresst nach Hause und Ihr Kind wirft aus Versehen ein Glas Milch um. Wenn Ihre eigenen Bedürfnisse gut gestillt sind, können Sie es vielleicht mit Humor nehmen und die Situation entspannen. Aber wenn Sie sich innerlich ausgelaugt fühlen, werden sie viel gestresster und gereizter reagieren bei einer Situation, die gut ausgeruht keine große Sache wäre.

FBS: Woran liegt es, dass Eltern ihre eigenen Bedürfnisse so sehr vernachlässigen?

SK: Im Attachment Parenting, der bindungsorientierten Elternschaft, die ich sehr begrüße, werden die Bedürfnisse der Kinder sehr ernst genommen. Im ersten Lebensjahr ist es super, wenn ein schreiender Säugling möglichst schnell versorgt wird. Aber ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr können Kinder auch lernen, dass sie mal kurz warten müssen oder dass es jetzt gerade kein Eis gibt. Eltern müssen dann sich selbst und ihrem Kind zutrauen, den kindlichen Unmut auszuhalten. Dadurch entwickeln Kinder Frustrationstoleranz, die auch später in der Schule und in der Arbeitswelt wichtig wird. Denn wir können unseren Kindern nicht immer alle Hürden aus dem Weg räumen.

Sandra Knauber ist Familientherapeutin

FBS: Wird es in der heutigen Erziehung vernachlässigt, Kindern etwas zuzutrauen?

SK: Manche Eltern denken, sie müssen alles für das Kind tun, damit es zufrieden ist. Sie müssen ihm alle Wünsche erfüllen. Das ist jedoch keine bedürfnisorientierte Erziehung, sondern eine Wunscherfüllung. Denn sie vernachlässigt das Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit und Struktur. Es gehört zu unseren Aufgaben, dem Kind Grenzen aufzuzeigen und Strukturen zu schaffen. Das gibt ihm Sicherheit und Halt.

Der erste Schritt ist, dass Eltern nach ihren eigenen Bedürfnissen schauen.

FBS: Halten wir fest, Kinder brauchen nicht nur eine Befriedigung ihrer positiven Bedürfnisse, sondern auch Grenzen und Struktur. Sie müssen lernen, auch mal zu warten und dass nicht immer alles möglich ist. Wie hilft uns dieses Wissen für mehr Leichtigkeit im Familienalltag?

SK: Wenn Familien in Schwierigkeiten zu mir kommen, ist oft der erste Schritt, damit sie überhaupt wieder zu Kräften kommen, zu schauen, dass es auch den Eltern gut gehen darf. Es ist wichtig, dass Eltern nach ihren eigenen Bedürfnissen schauen. Dazu gehört beispielsweise, nach dem Heimkommen eine Pause für alle einzuplanen. Das kann man den Kindern nicht nur zumuten, sondern es tut allen in der Familie gut.

FBS: Welche Möglichkeiten gibt es, eine gemeinsame Pause zu etablieren?

SK: Wenn das Kind keinen Mittagschlaf mehr macht, kann man es direkt als Ritual einführen. Das kann anfangs noch in der Nähe der Mutter sein, später dann im Kinderzimmer. Eine Sanduhr ist dabei sehr hilfreich. Kinder lieben Sanduhren. Dann kann die Abmachung lauten: Bis zum Ende der Mittagspause darf sich jeder leise beschäftigen. Das können bei kleinen Kindern fünf Minuten sein, später fünfzehn Minuten oder, wenn das Kind ins Spiel vertieft ist, sogar dreißig.

Eine wohlverdiente Kaffeepause

FBS: Reichen fünf Minuten Pause, um sich zu erholen?

SK: Manchmal sagen meine Klienten: Wenn sie jetzt eine Pause machen, kommen sie hinterher nicht mehr hoch. Aber das liegt dann daran, dass sie zu lange in Anspannung waren. Dann wäre es gut, zu schauen, ob man die Pause früher am Tag braucht. Manchmal reicht es dazu aus, dass man eine Kleinigkeit im Alltag umstrukturiert.

FBS: Wie könnte das aussehen?

SK: Wenn ich nach dem Essen eine Pause einführe, aber erst noch die Küche aufräume, geht das von meiner Pausenzeit weg. Besser wäre es daher, zuerst Pause zu machen und danach solche Aufgaben zu erledigen.

FBS: Wie kann man es überhaupt schaffen, wieder nach den eigenen Bedürfnissen zu schauen, wenn man es als Mutter oder Vater verlernt hat?

SK: Wichtig ist, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Dazu zählt, gut in Kommunikation und Interaktion mit dem Partner und dem sozialen Umfeld zu sein. Das können Großeltern und Freunde sein, aber auch offizielle Stellen wie Leihomas, Tagespflegeeltern oder das Wellcome-Programm. Es ist einen Versuch wert, Care-Arbeit partnerschaftlich zu verteilen, sodass beide Elternteile auch Freiräume für sich haben.

FBS: Wenn es trotz Pause, trotz Erholungszeit doch mal laut wird, das Kind schreit und tobt und ich bin als Mutter oder Vater wirklich bemüht, den kindlichen Unmut auszuhalten, aber es fällt mir so schwer – was kann ich tun?

SK: Zunächst einmal kann das Schreien des Kindes dazu dienen, sich den Stress von der Seele zu schreien. Wenn man sich das bewusst macht, kann man es vielleicht etwas leichter ertragen. Wenn es mir als Elternteil trotzdem zu viel wird, kommt es darauf an, wo ich bin. Wenn möglich, kann ich das Kind kurz an den Partner, die Oma, eine Freundin abgeben und mir eine kleine Auszeit nehmen. Geht das nicht, gibt es verschiedene Mentalisierungsübungen.

Mentalisierungsübungen können helfen, wenn der Stress zu groß wird.

FBS: Haben Sie ein Beispiel?

SK: Sie könnten sich vorstellen, sie wären in einer riesengroßen Seifenblase und nichts kommt an sie heran. Sie sind geschützt und das Geschrei perlt von ihnen ab. Das sollte man aber zuvor in einem ruhigen Moment üben.

FBS: Heißt das, es ist immer in Ordnung, wenn Kinder schreien und wir müssen das einfach aushalten?

SK: Da muss man ein wenig aufpassen und genau darauf achten, was die Gründe dafür sind. Muss das Kind Stress abbauen oder bin ich gerade im Supermarkt und es instrumentalisiert – ohne bösen Hintergedanken – das Gebrüll, um etwas Bestimmtes zu bekommen? Ab einem gewissen Alter, je nach Entwicklung des Kindes im Laufe des Kindergartenalters, kann ich es auch dafür sensibilisieren, dass da andere Menschen sind z.B. Nachbarn, die das Geschrei stört. Oder dass es nicht möglich ist, im Restaurant rumzurennen, da das die anderen Gäste stört, die in Ruhe essen möchten.

FBS: Was raten Sie Eltern, die all diese Tipps bereits beherzigen, aber trotzdem das Gefühl haben, ihre Akkus sind komplett leer.

SK: Dann würde ich fragen: Was erwarten Sie? Wie hoch muss der Standard Zuhause sein? Wie viele Vereinsaktivitäten braucht Ihr Kind wirklich? Auch in Fragen der Freizeitgestaltung können Eltern Grenzen aufzeigen. Es ist eben nicht immer alles möglich. Eine weitere Frage ist: Wo können wir Freiräume schaffen? Wo können wir Aufgaben abgeben, beispielsweise im Haushalt? Auch Haushaltsaufgaben können ritualisiert im Alltag eingebettet werden, dann fällt es auch den Kindern leichter, weil sie vorhersehbar sind.

Hilfe holen – Adressen im Raum Filderstadt finden Sie unten

FBS: Und wenn das immer noch nicht hilft?

SK: Ich empfehle, sich lieber früher als später Hilfe zu holen, damit sich die Situation nicht verschlimmert. Im Landkreis Esslingen gibt es ein gutes Netz an Psychologischen Beratungsstellen, wo es kostenlose Beratung für Eltern gibt.

FBS: Jetzt in der kalten Jahreszeit verlagert sich das Familienleben wieder mehr nach drinnen und das führt oft auch zu größeren Konflikten. Woran liegt das und wie kann man hier entgegenwirken?

SK: Das liegt an der fehlenden Bewegung. Ich rate auf jeden Fall dazu, jeden Tag rauszugehen. Wenn das ritualisiert geschieht und zum Alltag gehört, machen es die Kinder gerne, egal bei welchem Wetter. Man kann auch raus, um in Pfützen zu patschen oder Stöckchen zu sammeln. Oder man macht einen langsamen Spaziergang zum Supermarkt und schaut sich alles, was man findet, ganz genau an. Die Kinder bekommen dadurch genug Bewegung und das nimmt Stress. Außerdem stabilisiert die frische und kalte Luft das Immunsystem.

FBS: Liebe Frau Knauber, Sie haben uns schon eine ganze Menge erzählt. Was sind Ihre wichtigsten Tipps für mehr Leichtigkeit im Familienalltag?

SK: Auf die eigenen Bedürfnisse achten und den Alltag entschleunigen. Außerdem manche Sachen einfach mit Humor nehmen.

FBS: Vielen Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führte Ann-Katrin Neundorf, Öffentlichkeitsarbeit FBS Filderstadt

Adressen, Kurse und Vorträge für Eltern:

Fotos: Sandra Knauber, Unsplash Jessica Rockowitz, Frank Leuderalber, Austin Kehmeier, Jan Kahanek

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